II
Sie schwebt hoch über meinem Kopf, zieht weite Kreise, kreischt. Ich rufe: «Na warte, du!» Meine Faust bleibt dabei im Wasser.
Hier und dort sehe ich vereinzelte Wölkchen auftauchen, über ihr ist der Himmel jedoch strahlend blau. Sie fliegt eine Schleife, fliegt eine Acht. Dann verschwindet sie.
«Ja, hau doch ab! Dass du mir bloss nicht auf den Kopf kackst, hast du verstanden?», drohe ich. Meine Faust aber: die bleibt im Wasser.
«Was machst du da unten?»
Es ist kalt, dieses Wasser, und ausserdem steht es mir bis zum Hals. Über seine unruhige, schwankende Oberfläche zieht ein leichter Wind, der, kurz bevor ihn diese grelle Stimme unterbrochen, noch sanft an meinen nassen Ohren gekitzelt hatte.
«Komm zurück an Bord, aber dalli!»
Ich sehe zwei nackte Füsse vor mir, zwei nackte Beine bis zu den Knien. Schaue ich von da an weiter nach oben, so blendet mich die Sonne.
Ich sage: «Die Möwe hat mich irritiert. Ich wollte sie fangen», und dabei kneife ich die Augen zusammen. An einem dicken Tau, das herunterhängt, ziehe ich mich hoch, und so gleite ich hinaus aus dem glitzernden Wasser.
Wieder spricht sie zu mir:
«Hier gibt es nicht genügend Fische.»
Und ich sage:
«Nein», während ich, die nahgelegene Küste im Rücken, mit meinem Blick einen ganz bestimmten Punkt im Wasser zu finden suche. «Hier nicht», sage ich, und mit den durchnässten Kleidern tropfe ich das stolze, frisch lackierte Deck voll.
«Sie genügen nicht», sagt sie.
«Niemals», wiederhole ich, «ja», als ich den Punkt, den ich gesucht, gefunden habe. «Aber nicht weit von hier wären sie zahlreich.»
Ich konzentriere mich auf den Punkt und ich versuche, anhand der Lage und der Dimensionen der Häuser und Bergketten abzuschätzen, wie weit er von uns entfernt liegt, wie lange wir wohl bräuchten, ihn zu erreichen.
Dann aber unterbricht sie meinen Fluss von Berechnungen und Gedanken, als sie sagt:
«Nein.»
Ich drehe meinen Kopf nach rechts und betrachte ihr Gesicht von der Seite.
«Was meinst du mit ‹nein›?!»
Ihr Blick, Kinn leicht gehoben, scheint den Horizont zu vermessen, ihre Augen, Lider leicht geschlossen, scheinen sich nach einem Ort in der Unendlichkeit zu sehnen, den ich von hier aus nicht erkennen kann.
«Auch dort, wo es dich hinzieht, genügen sie nicht.»
«Warum nicht?», frage ich. «Wenn sie dort nicht reichen, dann…»
«Was dann?»
Ich stocke.
«Dann…»
«Dann was?»
«Nichts», sage ich, «nichts. Dann reichen sie dort eben nicht.»
«Sag ich doch: Sie genügen nicht. Verstehst du jetzt? Mir genügen sie nicht.»
«Ich sehe», sage ich und ich wende meinen Blick wieder von ihr ab, schaue hinaus aufs offene Meer.
«Aber was ist mit dem Gewitter?», frage ich jetzt plötzlich angsterfüllt.
«Ich weiss es nicht. Es schwebt noch in weiter Ferne. Wir werden sehen.»
«Was ist, wenn wir es vor Einbruch der Dunkelheit nicht zurück an Land schaffen? Wenn uns das Gewitter einholt?»
«Ich weiss nicht. Wir werden sehen.»
Die Hand geöffnet und in die Höhe gestreckt, teste ich die Richtung des Windes. Ich binde das Segel los. Dem neuen Wind gemäss richte ich das Segel aus und ich spüre, wie die vorantreibende Kraft an meinen starken Armen zieht.
Die Zeit vergeht. Unter mir rauscht die herrliche Melodie des sich spaltenden Wassers.
Nach einer Weile höre ich sie von hinten mir zurufen:
«Es reicht noch nicht.»
Kaum sind meine kalten Füsse trocken, klatscht ein Schwall Wasser an Deck und macht sie wieder nass. Sie findet es angenehm. Wir fahren weiter.
Es wird Mittag und mein Magen knurrt. Die Sonne brennt am Zenit heiss auf meinen Nacken nieder. Manchmal noch spritzt das Wasser in kleinen Tropfen, die meine Kleider berühren, empor, spritzt auf meine Stirn und erfrischt diese, oder trifft auf meine glühenden Arme, wo die Tröpfchen sogleich verdunsten.
Ich schaue nach hinten. Sie sonnt ihren Busen. «Nein, noch reicht es nicht.»
Stunden vergehen. Wo ich mich befinde, da ist das Wasser ruhig, meine Haut rot, der Hunger ausgetrocknet. Ich sage: «Wir sollten kehrtmachen!»
«Nein.»
«Wieso nicht?»
Wenn ich mich umdrehe, nach hinten sehe und die Augen zusammenkneife, dann erblicke ich zwar ganz deutlich die hügelige, teils von dunklen Wäldern bedeckte Landschaft, die grosse Bucht, die beiden langen Strände, dazwischen das kleine Dorf, und im Dorf glaube ich meinen Heimathafen erahnen zu können. Zugleich aber erkenne ich jetzt auch, wie weit wir uns schon von der Küste entfernt haben.
«Was glotzt du mich so an?»
«Ich glotz dich gar nicht an.»
Ich drehe mich wieder um und schaue nach vorn in Fahrtrichtung.
In schwerlich abschätzbarer Distanz braut sich nun vor meinen Augen ein schwarzer Himmel zusammen, in dem es ab und an lautlos aufleuchtet.
«Wenn wir jetzt nicht kehrtmachen», rufe ich nach hinten, «dann wird uns das Gewitter erreichen, noch bevor wir uns in Sicherheit begeben können!»
Ich schaue sie an, sie schaut mich an. Ihre schlanken, von einem feinen, blonden Flaum bedeckten Schenkel hat sie indessen übereinandergeschlagen.
«Gut», sagt sie. «Jetzt reicht es.»
Ich bringe das Segel in eine Position, wo es vorerst keinen Wind mehr fangen kann. Dann setze ich mich unter die Reling auf die Bordkante und lasse meine Füsse baumeln.
Sie schleicht sich von hinten an, langsam, ganz leise zwar, ich bemerke sie, doch bleibe ich sitzen.
Sie schleicht sich so nah hinter mich heran, dass sie jetzt mit einem Bein meinen Rücken berührt. Dann kniet sie zu mir nieder. Sie streckt die Hand aus, hält sich mit der andern an der Reling fest, beugt sich hervor und streckt die Hand zur Wasseroberfläche hin, die sie nun ganz sachte mit ihren Fingerspitzen berührt.
Ein Fisch blitzt auf.
Nicht nur kann ich mein Gesicht neben ihrem zwischen meine Beine hindurch im klaren Wasser spiegeln sehen, nein, auch erscheint jetzt plötzlich, wie magisch von ihr angezogen, dieser Fisch, ein weiterer Fisch, zwei weitere Fische, drei Fische! – einer nach dem andern – scheinbar aus dem Nichts heraus.
«Na? Hatte ich dir zu viel versprochen?»
Hundert Fische! Tausende! Ein ganzer Schwarm von Fischen taucht aus der Tiefe empor, zieht unter ihrer knapp überm Wasserspiegel schwebenden Handfläche vorbei, lässt das Wasser kurz aufschäumen und verschwindet, ebenso schnell, wie er gekommen war, in der Finsternis.
«Hol das Netz!», ruft sie. «Heute werden wir einen ganz grossen Fang machen, das versprech ich dir!»
Es könnte somit auch ein schwerer Fang werden, denke ich. Zwar bin ich nicht der Grösste, Kraft in den Armen aber hab ich wie kein andrer. Schon jetzt freu ich mich auf das Zucken und Surren in den Muskeln, auf den Schmerz in meinen beiden Händen, ja, ganz allgemein auf diese Müdigkeit, diese herrliche körperliche Müdigkeit, die sich manchmal ganz sanft und langsam über einen breitet – dann wieder heftig und plötzlich überfällt! –, wenn man am Abend nach solch strengen Tagen wie diesem in der Wärme sitzt, auf der Bank am runden Tisch, wo ich mich abstütz, in der Stube sitzt, umgeben von Holz und Stein, wenn ich meiner Frau, mir gegenüber sitzend, die Befriedigung anseh am Glanz in ihren braunen Augen, als wir uns anlächeln, wenn ich dann nicke, zufrieden nicke, die Gabel in der Hand halte und nicke, beruhigt, zuversichtlich, erleichtert aber auch erschöpft zugleich, glücklich… und wenn ich dann, den Kopf zur Seite drehend, nach links und zum Fenster, das auf die grosse See hinausblicken lässt, hin drehend – ja, und wenn ich dann am Ende auch in das strahlende, rötlich leuchtende, pausbäckige und vom gesättigten, warmen Schein der Petroleumlampe erhellte Gesicht meines Mädchens blicken darf.
«Uns geht’s gut, ne?»
«Was redest du da? Du musst schon lauter reden, wenn du mir was sagen willst!», ruft sie vom andern Ende des Decks zu mir rüber.
«Nichts! Ich sagte nichts!»
Gerade will ich dieses Netz, das ich vor der Abfahrt ins Boot gelegt hatte, unter der Plane hervorholen, als mir plötzlich in den Sinn kommt, herrje!, dass ich – ich Schussel! –, dass ich vor lauter Aufregung völlig vergessen hatte, es zu Hause zu kontrollieren!
«Was geht das so lange?»
«Ich hab’s gleich!»
«Brauchst du Hilfe?»
«Nein! Nein nein…»
«Dann mach mal vorwärts!»
«Ja.»
«Hast du das etwa noch nie gemacht?»
«Doch! … Doch! … Keine Sorge! … … Es kann sich nur noch um Stunden handeln!»
«Sehr witzig.»
«Ja… einen Moment, bitte… ich sag ja, ich hab’s gleich…»
Ich hol’s jetzt einfach noch schnell nach! Aber ich muss vorsichtig sein, sonst schöpft sie Verdacht, wird unruhig und will umkehrn. Mein Vater hat zum Glück nie gemerkt, dass ich’s ihm gestohlen hab. Hat ja auch ’ne ganze Menge davon gehabt… ganz viele, alle sehr unterschiedlich ausgesehn. Und mittlerweile hat er sich bestimmt schon wieder neue gekauft. Ich glaub, es ist auch kein besonders teures Netz…
«Na wird’s bald?»
«Ja!»
«Du versaust mir noch die Stimmung!»
Ich hol’s jetzt hervor! … Ist das richtig so? Ist das oben? das unten?… Spielt das bei Netzen überhaupt eine Rolle?! – Oh, Mann! Ich bin verloren! – Die Schnüre sehn alle etwas dünn aus… und steif und brüchig. Sind die etwa nur aneinandergeleimt statt verknotet? – – Mist! Wenn ich ihr das sag, dann ist’s vorbei, dann kehrn wir um! Okay. Gut. Beruhige dich. Nur nicht zittern, ja? Und nur nicht grob anfassen, ja? Ich versuch’s jetzt einfach. Wenn das aber in die Hose geht, dann wird sie mir das nie verzeihn. – Also… … … also… … … … ja! … oder nein? … … hmm……… ich hab’s mir ehrlich gesagt etwas kleiner vorgestellt. Aber na ja, was soll’s! ’s passt schon! Jetzt kann ich nur hoffen, dass…
«Hast du’s endlich? – Komm her, ich helf dir.»
«Nein! Nein nein… also ich meine: Ja! Ja, ich bin bereit, bereiter als bereit, und das Netz liegt parat.»
«Gut. Dann gib mir jetzt deinen Zipfel. … Danke. Also, wir machen das folgendermassen: Ich bleib hier stehn, wo ich bin, und du nimmst die andre Kante des Netzes in die Hand und gehst damit dort rüber, wo ich vorhin gestanden hab. Auf ‹DREI!› werfen wir dann das Netz zusammen ins Wasser. Alles klar?»
«Alles klar, denk ich.»
«Gut. Ich warte. … … … … … … … … … … … … … … … Bereit?»
«Ja!»
«Also:
E I N S !
Z W…
…Was ist? Wieso zählst du nicht mit?
»
«Nichts! Ich… ich hab’s bloss verpasst… ja, verpasst.»
«Dann also noch mal von vorn. Bereit?»
Sie schaut zu mir rüber. – Ich nicke einmal.
«Uuund… «…
E I N S ! E I N S !
Z W E I ! Z W E I !
D R E I ! D R E I !
» »
Gespannt, irgendwie aber auch verwundert zugleich, schauen wir beide zu, wie das Netz zum Himmel aufsteigt, wie es sich öffnet, wie es in hohem Bogen nun – sein Schwerpunkt einer fast idealen Parabel folgend – durch die Luft fliegt, schwebt, und auf seinem Höhepunkt in voller Länge und Breite jetzt in der Luft beinah stillzustehen scheint, dann langsam wieder hinunterfällt – auftrifft! –, um am Ende ein Weilchen, noch immer zum Glück unbeschadet, auf dem Wasser zu gleiten, mit den leichten Wellen hin- und her- und auf- und abzuzittern, ins Meer zu sinken und sich dann gänzlich unsren Blicken zu entziehn. Merkwürdige Sache eigentlich.
«Und jetzt?», sage ich.
«Na, was denkst du, was jetzt ist?»
«Ich weiss nicht.»
«Jetzt entspannst du dich einfach, und wir warten ein bisschen, ja?»
Ich versuche, mich zu entspannen. Ich entspanne mich. Für einen Moment lang, jedenfalls, entspann ich mich.
«Nein…»
«Was?» Ihre Augen bleiben geschlossen.
«Du musst damit aufhörn.»
«Womit?» Sie streicht sich ein Haar aus dem Mund und lässt ihren Kopf kurz nach hinten fallen. «Geniesst du nicht diese Ruhe, dieses leise Lüftchen?»
«Nein, das ist es nicht.»
«Was dann?»
«Du musst aufhören, so herumzuwippen.»
«Das gehört aber dazu, du Idiot.»
«Nein, das mein’ ich ja gar nicht. Du musst aufhören, dabei das Boot so zum Schwingen zu bringen. Ich will nicht ins Wasser fallen!»
«Quatsch. Jetzt sei mal nicht so ein Angsthase. Da passiert schon nix.»
«Ich bin kein Angsthase, es ist nur…»
«Ssscht! Sei still.»
«Was ist? Hast du was gehört?»
«Entspann dich.»
Ich versuche, mich zu entspannen. Ich entspanne mich. Für einen Moment lang, jedenfalls, entspann ich mich.
«Nein, das geht nicht. Bitte, hör auf, es geht so nicht.»
«Was?! Was ist denn mit dir los, verdammt!»
«Du vertreibst noch die Fische.»
«Pah! Im Gegenteil, Kleiner. Die lieben das. Die brauchen das! Glaub mir. Und ich brauch’s jetzt grad auch.»
«Toll für dich!»
«Ich hatte dich nicht dazu gezwungen, oder hatt ich etwa?»
«Nein… hattest du nicht.»
«Na, also. Dann halt jetzt endlich dein Maul, du Arschloch, und entspann dich gefälligst ein bisschen, ja?»
Das Boot schwankt und das Meer schlägt höhere und immer höhere Wellen.
«Weisst du», sagt sie. Sie beugt sich zu mir runter, dass unsre Nasenspitzen sich beinahe berühren. Ihr Gesicht strahlt Wärme ab, ich spüre ihren Atem auf meinem Mund. Eine Schweissperle tropft ihr von der Unterlippe und trifft die meine. Sie flüstert: «Weisst du eigentlich, wie lange ich schon auf einen Augenblick wie diesen warte?»
«Du…»
«Ssscht! Sag nichts. … Versteh mich nicht falsch, Kleiner. Es ist nicht so, dass ich auf dich gewartet hätte, nein, ganz und gar nicht. Ich mach’s nicht für dich, du verstehst doch? Du bist mir in dem Moment einfach grad gelegen gekommen.»
«Lass mi…»
Sie drückt mir ihre Hand auf den Mund und sieht mir tief in die Augen.
«Ja, ich weiss, das braucht Zeit, und je länger man wartet, umso besser wird’s. Dass sie dich dann aber grad so lange warten lässt, das scheint sogar mir befremdlich. Wie du das…» «MmMmmMmmm…» «Ssschhh… wie du das bloss mit der aushältst! Im Leben stürmisch, im Studium eine Eins, ja, eine Durchstarterin, könnte man sagen. In der Liebe aber ist sie, und du weisst es genau, nicht mehr als Durchschnitt, nein, sogar noch viel weniger als das ist sie, eine Nonne ist sie, verglichen mit mir ist sie eine verfickte Heilige!»
«Mm!Mmm!Mmmm!!»
Sie nimmt ihre andre Hand zur Hilfe und beginnt damit, mir den Kopf zu streicheln.
«Du armer Kerl. Ich sehe ja, dass du mit dir selber ringst. Aber leider ist es jetzt eben so, dass du dich entscheiden musst, mein Lieber.»
Endlich löst sie die Hand von meinem Mund und ich atme, schnappe nach Luft und ich atme – einmal, zweimal, dreimal – ganz tief durch, atme tief… durch……, tief…… durch………, als ich jetzt – dabei schliesse ich langsam meine, langsam meine Augen –, als ich jetzt versuche, mich zu entspannen, in die Tiefe zu fall…n und … entspann……, ja, ich kann es deutlich spüren, ich spür’s jetzt, ich fall jetzt, ruhig wieder und gelassen atme ich mit geschlossne… Au…… und ich fall…, entspanne mich un… f……, ich entspan… …, ja, endlich ent…ann … … …
«…nein…nein…nein…nein…nein…»
«Was ist?», flüstert sie.
Plötzlich schrecke ich auf wie aus einer Trance oder aus einem verstörenden Traum.
«Sei still!», zische ich.
Ich öffne meine Augen nicht.
«Wieso? Was ist denn jetzt schon wieder?»
«Ssscht!»
Zwar konnte ich es, meiner geschlossnen Augen wegen vermutlich, nicht blitzen sehen, doch vernehme ich gerade einen lang anhaltenden, leisen Donner durch die Luft schweben. Oder ist es der Wind, der um das Segel pfeift? Und wenn es so wäre? Hatte ich denn das Segel nicht gesichert?
Als ich nun meine Augen öffne, stelle ich mit Entsetzen fest, dass sich der Tag – der Sturm musste sich auf leisen Sohlen genähert haben – unterdessen in eine tiefe, finstre Nacht verwandelt hat.
«Jemand könnte uns hören», sage ich.
«Wie denn, bitte schön? Ist ja ausser uns niemand hier.»
«Ah ja?»
Ihr Gesicht scheint schwarz; noch stets schwebt es hoch über meinem Kopf. Ihre Augen aber, die kurz zuvor wie im Fieber glänzten, und ihre feuchten, vollen Lippen sind jetzt nicht mehr zu erkennen. Wie in einen königlichen Vorhang, der von der Decke zu mir nieder fällt, liege ich unter der runden Silhouette ihres Kopfes eingehüllt in ihre langen, blonden Haare, und ich sehe durch sie ein ganz klein wenig von diesem verführerischen, goldenen Licht hindurchschimmern.
Ich könnte diesen Moment allerdings geniessen – sogar meine Hand streck ich aus und ich fahre mit den Fingern in Gedanken durch ihre feinen Haare –, wäre da nicht dieses Boot: Mittlerweile schwankt es so kräftig, am liebsten würd ich mir auf der Stelle die ganze Galle rauskotzen. Für den Augenblick reisse ich mich zusammen.
«Da scheinst du dir aber ganz schön sicher zu sein!», sage ich. «Und was ist damit? Hm? … Hast du das absichtlich… Willst du mich eigentlich mit der ganzen Sache reinlegen, oder was?!»
«Ich?!… Wieso ich denn? … Was ist bloss plötzlich mit dir los?»
Es donnert heftig – es rumort. Es rumort so laut, das kann nicht mehr weit sein!
«Aaa…ha! So ist das also. Dann wollte sie mich reinlegen. Will sie mich testen? Ist es das, hä? … … Sprich jetzt! Antworte mir, verdammt!»
«Ich glaube…», sagt sie zögerlich.
«Ihr habt euch gegen mich verschworen!»
«Beruhige dich, Mensch! … Und lass mich erst mal ausreden, ja? Ich wollte sagen: ‹Ich glaube, du wirst es wohl einfach vergessen haben, nachdem du…»
«Und warum sollte ich das? Warum hast du’s nicht bemerkt? … … Du schweigst. Da haben wir’s, du schweigst. Du schweigst, weil ich nämlich recht habe! Das ist ja wohl der Hammer! – Was für ein Kinderkram, Herrgott noch mal, ich geh’s jetzt einfach zuklappen.»
«Nein! Du bleibst schön hier, wo du bist, verstanden? Irgendwie – jetzt, wo du’s erwähnst, jetzt, wo ich das weiss – gefällt es mir sogar noch besser als davor. Diese ganze Ungewissheit: du weisst schon. … Jaaa! Heee!»
«Bist du verrückt? Sei still!»
«Jeeeh!»
«Hör auf damit, hab ich gesagt!»
«Huiii! Hallooo! Haalooo!!»
«Wirst du wohl sofort die Klappe halten!»
«Yippie Hippie Yahoo Yee-haw!»
«Nein! … Stopp, nein! Ich bitte dich…»
«Wer hört mich? …mi mi mich? Wer ist da? …da da, da da?»
«Bitte… Ich…»
«Ist da überhaupt jemand? Ist da jeemaaanda auffa da andan Seithöööhöhöööööheheheeäääh…ächz…z…ääääähähäääa…aahhh… – Mann, eh! Ich kotz gleich auch.»
«Bist du jetzt… eigentlich völlig… übergeschnappt? Ich… verdammt, ich… ich kann’s nich… … … verdammt!»
«He, hallo! Ja, hier drüben! Hier drüübeeen! Ich fick grad deinen Freund, falls du mich hörn kannst. – Du Nonne! – Du weisst, was das bedeutet: Er hat seinen dicken Pimmel in meiner Möse. Richtig gehört: in meiner Möse, in meiner! Em, Ö, Es, E – E, Es, Ö, Em. Möseesöm!… Ha! Ein Palindrom, jawoll! He, Kleiner, hast du gehört? Ich hab grad ein neues Palindrom gefunden: Möseesöm.» …e
«Oh Gott!!!…»
In der Umgegend meines Hinterns beginnt es jetzt, so recht merkwürdig zu kitzeln, dann ganz merklich zu vibrieren.
«Na sieh mal einer an!»
Sie zeigt mit dem Finger hinaus in die See. Da unten, tief da unten brodelt es jetzt, …te da aussen siedet es, schäumt es jetzt weisslich vom Salz, und es kocht.
«…!!!…»
Und die Fische, zwar gefangen, schiessen am Horizont vor unsren tränenden Augen aus dem Ozean, ein ganzer Schwarm fliegt wie ein Walfisch – eingesperrt in das alte, brüchige Netz meines Vaters, das dem Druck zwar noch immer standzuhalten sch… …elte – hoch durch die windige, stürmische Luft, ja, wie ein einzelner monströser Tropfen glänzt dieser glitschige Fang im Licht der Blitze und setzt zum Sturzflug an.
«Du solltest diesen Augenblick besser geniessen, Kleiner: denn er wird wiederkehren…» «…!!!…» «und wiederkehren und wiederkehren, ja, ewig wird das Gl…»
Das Netz reisst. Ich sehe, wie die einzelnen Schnüre und Fetzen durch die Luft wirbeln, wie die Fische ihrer Gefangenschaft entkommen.
«…leiche WIE! – DER! – JA! – KEH! – REN! – JA!» «…!!!…» «WIE!DER!KEH!REN! WIE!DER!KEH!REN!…
REN! «… A
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REN! a
REN! a
REN! a
REN! a
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REN! h
REN! h
REN! h
REN! !
REN!!!!!!!!!!!!!!!!…Mnh…Nh………Yuoh!……………»
Wie ein Felsbrocken prallt der Schwarm auf die gespannte Oberfläche der See und lässt die Fische nun endgültig, jeder jetzt auf sich allein gestellt, in den Tiefen des Meers …ingelte Untergang finden.
Es blitzt. Das Licht …klingelte an. Es donnert.
«Was um alles in der Welt treibt ihr zwei………?!!»
Es poltert und scheppert, es flucht und es kracht, als fiele uns gleich der eiserne, schwarze Himmel auf den Kopf.
Es klingelte.
Dann Stille.
«Klapp’s zu.»
Es klingelte.
Jetzt begann es zu trommeln.
Es kl…
Kräftig zu prasseln.
«Es pisst sonst noch auf ihre offnen Bücher.»
…
…
«Hee… ich noch mal. Lass dich nicht störn, ja?… beim Entwerfen deiner ‹Konzepte›!… deines ‹Konzepts›, oder wie auch immer du deine Arbeit bezeichnen möchtest. Ich will nur, dass du Folgendes weisst – auch, damit du dich nicht so einsam fühlst –:
Vielleicht hat das… ssscht!… vielleicht hat das vorhin am Telefon nicht gerade danach geklungen, aber ich find’s echt schade, dass wir heut nicht zusammen essen können. Ja, ganz ehrlich! Du würdest dich bestimmt freun! Es gibt nämlich… Sag mal, spinnst du? …