3.
Ich überlegte eine Weile. Es herrschte beinah Stille in der Küche. Das Ticken der Wanduhr, die dem Sonnenstand nach zu urteilen eine falsche Uhrzeit anzeigte, und das Surren des Kühlschranks machten mich nervös.
»Ich werde mit Jenny Schluss machen«, sagte ich. »Es bringt nichts. Es bringt einfach nichts.«
»Wie du meinst«, sagte die Katze, jetzt plötzlich in einem überraschend gleichgültigen Tonfall.
»Und versuche diesmal nicht, mich davon abzuhalten!«, fügte ich rasch hinzu, ehe ihre oberflächliche Gleichgültigkeit wieder verschwinden konnte.
War das ein Nicken gewesen?
»Du willst mir also nach wie vor nicht verraten, was gestern Abend vorgefallen ist?«
»Nein«, sagte ich.
Nun sah sie mich mit einem prüfenden Blick an.
»Deiner Reaktion nach kann es keins der üblichen ›Ich liebe dich ja, mein Schatz, das weißt du doch … aber ich bin mir einfach nicht sicher, ob du mir alles bieten kannst, was ich von einem Mann brauche‹ sein.«
»Mach dich nicht über mich lustig. Das hat sie wirklich so gesagt, Wort für Wort, und zwar genau in diesem Tonfall.«
»Ich verstehe.«
Ich ließ die Katze in der Küche zurück und holte den Autoschlüssel. Von der Treppe aus rief ich ihr zu: »Ich gehe jetzt. Vielleicht werde ich dir ein andermal von gestern Abend erzählen. Bei einem Glas Wein, versteht sich, wie immer – aber bestimmt nicht heute, auf keinen Fall heute. Heute ist in allen Belangen ein überaus schlechter Tag. Ich bin noch nicht einmal dazu gekommen, etwas Anständiges zu essen. Mir ist, als hätte ich mich ausschließlich von Kaffee und Zigaretten ernährt.«
»Wohin gehst du?«, miaute sie laut aus der Küche.
»Ich werde es ihr persönlich sagen … nicht am Telefon, wie ich das ursprünglich vorhatte. Ich sehe ja ein, dass sich so ein Verhalten für einen erwachsenen Mann nicht gehört.«
»Gut«, miaute die Katze weiter, »aber willst du nicht noch etwas warten? Sie ist doch bestimmt bei der Arbeit.«
»Mag sein«, sagte ich leise vor mich hin – so leise, dass es die Katze trotz ihrer guten Ohren wohl kaum mehr hören konnte. Lieber werde ich vor ihrer Wohnungstür warten, dachte ich, als dass ich in meinem eigenen Haus noch durchdrehe. Und wer weiß? Vielleicht ist sie ja bereits daheim?
Ich ging die Treppe weiter hinab bis ins unterste Stockwerk und betrat die Garage.
Als ich im Auto saß und den Zündschlüssel ins Schloss steckte, geriet ich ins Grübeln. Plötzlich wurde mir wieder bewusst, dass ich soeben eine Unterhaltung mit einer Katze geführt hatte, mit der ich wer weiß schon wie lange zusammenlebte!
Für einen kurzen Moment glaubte ich, verrückt geworden zu sein. Und dennoch schien es mir die natürlichste Sache der Welt, sich mit einer Katze über die eigenen Gedanken und über die eigene Gefühlswelt auszutauschen, über Unsicherheiten und Schwächen – beinahe so natürlich wie das tägliche Essen und Schlafen.
Mit wem sonst sollte ein Mann sich denn darüber unterhalten?, fragte ich mich. Er hat ja niemanden.
Männerfreundschaften bestehen in aller Regel darin, Sprüche zu klopfen und Witze zu reißen, sich gegenseitig die neuesten Gadgets zu zeigen, die man sich gekauft hat, über Fußball und Formel 1 zu philosophieren und im kleinen Kreis Politik zu betreiben, als sei das eine exakte Wissenschaft, ja, die eigene Meinung kundzutun, stark und bestimmt, als sei sie ein Naturgesetz. Eine Verletzung dieser ›Anstandsregeln‹ führt beim einen oder andern automatisch zu Liebesentzug.
Und wann hatte ich mich zuletzt schon mit einem Mann getroffen, ohne danach beschwipst oder besoffen gewesen zu sein? Tja.
Mit Frauen über Gefühle und Unsicherheiten sprechen? Das war schon möglich. Und manche hörten auch gerne zu, hatte meine Erfahrung gezeigt – sie taten zumindest so, um genau zu sein. Doch bezahlte man für diese Dienstleistung auch einen gewissen Preis. Ihren Höhepunkt nämlich holten sie sich dann im Anschluss gnadenlos doch lieber woanders.
Also blieben dem Mann genau noch vier Möglichkeiten offen.
Erstens: ein Stück Papier, oder was auch immer gerade Beschreibbares herumliegt, und ein Stift natürlich.
Zweitens: ein Kassettenrekorder oder dergleichen.
Drittens: langes, langes Schweigen, gefolgt von einem präzisen Schnitt durch die Pulsader am Handgelenk. (Alternativ: ein Auto-»Unfall«.)
Oder eben Nummer vier: die Katze.
Varianten eins und zwei hatte ich vor längerer Zeit bereits ausprobiert, mit mäßigem Erfolg, und daher schon beinahe abgeschrieben. Nummer drei hielt ich mir noch offen, falls es auch mit der Katze nichts werden sollte.
Vorsichtshalber hatte ich mir schon mal eine Packung Klingen gekauft. Feather. Die waren nicht nur dünn und ultraleicht wie Federn, es waren auch die schärfsten, die ich finden konnte. Wenn, dann sollte es ohne Aufwand geschehen, ohne viel Druck, ohne dabei ein Gemetzel zu veranstalten. Einfach nur sauber und schnell.
Um nicht auf falsche Gedanken zu kommen, hatte ich sie im Bad versteckt, wo ich sie nicht sehen konnte. Doch war es immer beruhigend zu wissen, dass sie da waren, sollte ich sie eines Tages benötigen.
So gesehen war die Katze das Beste, was mir passieren konnte. Alles, was sie sagte, stimmte. Es ergab Sinn. Auch ihre Fragen waren stets richtig und gut.
Ohne die Katze wäre Option Nummer drei nicht mehr länger nur eine Option gewesen, sondern sie wäre zu meinem einzigen Ausweg geworden.
Ich nahm die Fernbedienung in die Hand, die auf dem Beifahrersitz lag, und öffnete damit das Garagentor hinter mir. Dann drehte ich den Schlüssel um, wartete, bis der Motor nach ein paar zögerlichen Sekunden ansprang, und legte den Rückwärtsgang ein. Ich schaute einmal in alle drei Spiegel und drückte aufs Gas. Als ich mich umdrehte und nach hinten in Fahrtrichtung blickte, trat ich vor Schreck ruckartig auf die Bremse, sodass der Motor abstarb. Auf der Rückbank lag die Katze.
»Was um Himmels willen …!«, rief ich aus.
»Ich komme mit«, sagte sie lässig.
»Ja, das kann ich … sehen …«, erwiderte ich entgeistert. »Ich meine … das heißt: Nein! Auf gar keinen Fall! Was soll das Getue? … Und überhaupt: Wie hast du dich ins Auto geschlichen?«
»Ich habe mich gar nicht reingeschlichen«, sagte sie. »So etwas würde ich nie tun.«
Ich sah sie streng an, doch sie bemerkte meinen Blick nicht. Sie hatte ihre Augen geschlossen und leckte sich die Pfoten. Dann stand sie schnurrend auf, drehte sich ein paarmal im Kreis und schaute zu mir nach vorn.
»Ich kann dich das unmöglich allein durchziehen lassen«, sagte sie jetzt, »verstehst du das denn nicht? Dazu bist du noch nicht bereit. Glaube mir.«
»Bereit wozu?«
»Bereit, dich von Jenny zu trennen. Wozu denn sonst?«
»Natürlich bin ich bereit! Pah! Und wie ich bereit bin!«, sagte ich. »Das muss einfach mal getan werden. Lieber heute noch als morgen. Halt du mich jetzt nicht davon ab, hörst du?«
»Du willst mir nicht von deinem gestrigen Abend erzählen. Du hast ihn noch nicht verarbeitet.«
»Und ich sagte dir bereits, dass das heute nicht geht!«
Sie ließ nicht locker.
»Ich komme mit«, sagte sie erneut.
»Nein.«
»Doch.«
»Nein! Nein! Das kommt nicht infrage! Du gehst jetzt schleunigst wieder in die Küche, wo du hingehörst, und wenn ich nach Hause komme, dann sehen wir weiter, ja, dann erzähl ich dir alles bis ins letzte und kleinste Detail, wenn du willst. Alles. Vom gestrigen Abend, von unserer Trennung, einfach alles. Und du darfst fragen, was du willst, mir Löcher in den Bauch fragen, bis dir schlecht wird und du dein abgelecktes Fell wieder hochkotzt … Aber jetzt geh! Geh endlich! Na los, geh!«
Die Katze glotzte mich hohl an.
»Was hast du?«, fragte ich.
»Ich? … Nichts.«
»Du glotzt«, sagte ich. »Doch, du glotzt. Ich kann es ja deutlich sehen.«
»Ich glotze gar nicht. Weiß nicht, wie du darauf kommst. – Versprichst du mir, was du gesagt hast?«
»Was denn?«
»Das mit dem Erzählen. Versprichst du’s mir?«
»Ich verspreche es«, sagte ich, noch immer ein wenig genervt. »Ehrenwort.«
»Na ja«, sagte die Katze triumphierend, »ich hatte mir das ein bisschen schwieriger vorgestellt.«
Sie begann, vor sich hin zu schnurren.
»Jetzt aber raus mit dir, dalli!«
Ich kurbelte das Fenster runter. Die Katze hüpfte geschwind von hinten auf den Vordersitz, dann auf meine linke Schulter, und schon war sie aus dem Fenster gesprungen und zwischen den herumliegenden Kartons verschwunden.
»Verflucht!«, rief ich aus und fuhr los.
ENDE
DER LESEPROBE
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