Roman
Ein Roman (Leseprobe) von Marco Furgler, erschienen im April 2022.
1.
Du solltest es doch schon längst selber wissen, mein Lieber«, sprach sie mit ihrer milden, schnurrenden Stimme. »Wenn du so reagierst, dann ist das für gewöhnlich ein Zeichen dafür, dass sie dich wieder einmal enttäuscht hat.«
In rastlose Gedanken versunken lief ich in der Küche hin und her. Dann blieb ich stehen und kratzte mich erregt am Kinn, sodass sich die Schuppen aus meinem trockenen Dreitagebart lösten und in der Luft verteilten.
»Wie recht du doch hast«, sagte ich. Die psychologische Analyse der Katze ergab durchaus Sinn. »Dieses ewige Auf und Ab mit ihr … Ich sollte aufhören, mir etwas vorzumachen. Ja, vielleicht sollte ich sogar mit ihr Schluss machen, ein für alle Mal.«
Und im selben Moment, wie vom Blitz getroffen, schoss ich hinaus aus dem Raum, fest entschlossen, sie sogleich im Büro anzurufen.
»Halt!«, rief die Katze mir nach. »Halt doch! Nicht so schnell! Nur keine voreiligen Schlüsse ziehen! …«
Das Ende hatte ich schon fast nicht mehr gehört, denn ihr klägliches Krächzen verhallte in der Leere des Hauses.
Ich nahm den Hörer in die Hand, kramte das Visitenkärtchen meiner Freundin hervor, wählte die Nummer und hielt den Zeigefinger bereits auf die letzte Taste gedrückt, die den schicksalhaften Anruf beim Loslassen einleiten würde, als mich plötzlich eine innere Ruhe überkam, die mein Handeln unterbrach – eine Einsicht, die den Schwall meiner Emotionen und Gedanken für kurze Zeit zum Stocken brachte.
Ich legte den Hörer auf und kehrte zurück in die Küche. Die Katze lag unverändert auf dem Tisch. Ich fasste den Entschluss, sie einen Moment lang zu ignorieren.
»Verzeih mir bitte«, hörte ich ihr Schnurren in meinem Rücken, »aber ich kann mir den Kommentar einfach nicht verkneifen. Du bist von ihr enttäuscht, ja, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Doch habe ich gleichzeitig auch den starken Eindruck, dass du von jemand anderem ebenso sehr, wenn nicht gar noch tiefer, enttäuscht bist, und …«
»Und wer, bitte schön, wer?! …«, fiel ich ihr ins Wort, »wer sollte das deiner Meinung nach sein?!«
Ihre Feststellung verdutzte mich, beängstigte mich aber zugleich, schien sie doch irgendwie sehr zutreffend zu sein. Wen konnte sie bloß damit meinen?
»Du bist wütend. Bedenke stets deine eigenen hohen Erwartungen«, zischte sie.
Ich drehte mich zu ihr um und stützte mich auf der Rückenlehne des Stuhls ab, der zwischen uns vor dem Küchentisch stand. Dann sah ich der Katze tief ins Gesicht, doch sie rührte sich nicht mehr. Nicht einmal auf ihren langen silbernen Schnurrhaaren war ein Zucken zu erkennen.
Ich sagte: »Du meinst doch nicht etwa … Meinst du … du meinst … Ha! – Meinst du etwa mich? …«
Die Katze schwieg, und da traf es mich plötzlich wie ein Schlag.
»Sag mal«, wollte ich wissen, »träume ich gerade, oder haben wir schon immer zueinander gesprochen?«
Ich suchte in ihrem starren, aber wundervollen Blick einen Hinweis.
»Du bist ein Scherzkeks!«, rief sie plötzlich aus. Dabei machte sie eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und streckte die Nase in die Luft. »Seit über einer Stunde schon beklagst du dich über den gestrigen Abend, den Tränen nahe – leugne es nicht, ich seh’s dir ja an –, vom ersten Abend mit ihr seit Langem, und auf einmal stellst du mir solch eine erniedrigende Frage!«
»Spiel jetzt nicht die Beleidigte!«, fuhr ich auf. »Es war doch bloß eine harmlose und gerechtfertigte Frage.«
Wieder schwieg sie, ohne mir eine befriedigende Antwort gegeben zu haben. Ich wiederholte: »Du glaubst also, ich enttäusche mich selbst? …«, und da sie noch immer still blieb, deutete ich ihr Schweigen zunächst als ein klares Ja.
Voller Schamgefühl, als hätte mich soeben eine Hauskatze auf frischer Tat ertappt, wandte ich mich wieder von ihr ab. Ich stellte mich in die Mitte des langen Raumes und spürte, dass er mir – bis auf ein einziges Mal in einer fern zurückliegenden Zeit – noch nie so blau und so leer, ja so kalt vorgekommen war.